„Wie viele andere humanitäre oder soziale Bewegungen hat die Hilfsindustrie versagt antirassistische Arbeit, als Teil in ihre Strategien aufzunehmen. Das ist sehr problematisch. Auf der einen Seite richten sie ihren Fokus auf die Ungleichheit zwischen Nord und Süd. Sie fokussieren ihre Arbeit auf die Ungerechtigkeit zwischen denen, die kolonisiert haben und denen die kolonisiert worden sind. Gleichzeitig basieren ihre gesamten Kampagnen auf die Förderung von kolonialen Strategien und deshalb auch auf das Aufrechterhalten von Rassismus. Und das ist absolut inkohärent. Das ist ein Widerspruch: Ungleichheit zu thematisieren aber zur gleichen Zeit durch die gesamte Arbeit Ungleichheit hervorzurufen.“ Grada Kilomba in white charity
21. März 2013
Sehr geehrter VENRO Vorstand, sehr geehrte Mitarbeitende des DZI,
Die Selbstorganisationen Schwarzer Menschen in Deutschland befassen sich seit vielen Jahren mit der Plakatwerbung von entwicklungspolitischen Organisationen im öffentlichen Raum. Unserer Meinung nach werden darin fast durchgehend rassistische Bilder und Strukturen reproduziert. So beobachten wir beispielsweise, dass Schwarze Menschen auf Plakaten grundlegend „anders dargestellt werden als weiße und damit das rassistische Grundprinzip der Einteilung in ein „wir“ und die „anderen“ fortgesetzt wird– eine hierarchisierende Perspektive Auch werden Schwarze Menschen und People of Color fast durchgehend mit Defiziten und Mangel in Verbindung gebracht, indem sie als „rückstaÅNndig“, „arm“, „ungebildet“, „krank“ oder „ursprünglich“ dargestellt werden. Aber auch die alternative Darstellung als exotisch und lebensfroh basiert wie die defizitäre Darstellung auf kolonialen Stereotypen. Zudem werden sie in der Regel nicht als Subjekte dargestellt, die für sich selbst sprechen können, sondern in ihrer Rolle als passive Hilfsempfänger_innen konstruiert. Weiße Menschen werden im Umkehrschluss dadurch als modern, gebildet, gesund, individuell und als Subjekte dargestellt- als Geber, die durchweg positiv, moralisch integer, aktiv und mit Entscheidungskompetenzen ausgestattet erscheinen. Während die weiße Mehrheitsgesellschaft in Deutschland sich in ihrem konstruierten Selbstbild damit also als höherwertig bestätigt fühlen kann, verletzt und demütigt die Spendenwerbung Schwarze Menschen, Menschen Afrikanischer Herkunft und People of Color und löst Enttäuschung, Trauma und Entfremdung aus. Sie leistet damit einen aktiven Beitrag zur Aufrechterhaltung von Rassismus, Ungleichheit und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft. Letztlich ist für uns die entwicklungspolitische Spendenwerbung fast durchgehend apolitisch, obwohl sie eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Sie geht nicht ansatzweise darauf ein, dass es globale ökonomische und strukturelle Zusammenhänge zwischen den Lebensrealitäten in Nord und Süd gibt und dass Deutschland globale Probleme mit verursacht hat und weiterhin daran beteiligt ist. Außerdem blendet sie das historische Geworden sein, z.B. die gemeinsame koloniale Geschichte aus. Stattdessen vermittelt die entwicklungspolitische Spendenwerbung das Gefühl, dass Hilfe die einzige Verbindung zwischen Nord und Süd sei.
In dem VENRO Kodex zur entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit sowie in den Leitlinien des DZI Spendensiegels gehen Sie auf einige der oben genannten Punkte ein. Wir haben gehört, dass VENRO und DZI aktuell in einem gemeinsamen Prozess an der Weiterentwicklung der Leitlinien des DZIs arbeitet. Diese Initiative begrüssen wir sehr, da unserer Meinung nach sowohl der VENRO Kodex als auch die DZI Leitlinien an entscheidenden Stellen nicht weitreichend und schwammig formuliert sind. Trotz der Existenz von Kodex und Leitlinien nehmen wir weiterhin diskriminierende und rassistische Spendenwerbung wahr und sehen deshalb großen Handlungsbedarf.
Deshalb fordern wir, Netzwerke und Dachorganisationen von Schwarzen Menschen in Deutschland:
• eine aktive Auseinandersetzung mit Rassismus kritischen Analysen von Spendenwerbung1 und damit einhergehend, dass VENRO und DZI sich ihrer Verantwortung als Dachverband und Qualitätssiegel vergebende Institution bewusst werden und dafür sorgen, dass eine Werbung wie Sie derzeit verwendet wird, nicht mehr möglich sein wird. Wir fordern Sie auf, deutlicher zu formulieren, was Sie unter Würde und Subjekt sein verstehen und wie in der Praxis sichergestellt werden kann, dass Diskriminierungen in der entwicklungspolitischen Text- und Bild-Produktion vermieden werden können2. Ein wichtiger Punkt hierbei wäre auch, dass Rassismus und Kolonialismus als zentrale Machtverhältnisse im Nord-Süd Kontext thematisiert werden und nicht hinter allgemeinen Formulierungen wie „Würde“ verschwinden.
• dass Schwarze Menschen, Menschen der Afrikanischen Diaspora und People of Color in Deutschland sowie Vertreter_innen von Partnerorganisationen aus Ländern des Globalen Südens am Prozess der Weiterentwicklung der Leitlinien und des Kodexes beteiligt werden und ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Bezug auf Diskriminierung und Rassismus ernst genommen werden. Da viele Schwarze Organisationen und Netzwerke, so auch wir, aufgrund mangelnder Förderprogramme ehrenamtlich oder prekär finanziert arbeiten müssen, fordern wir, dass die Beteiligung auch finanziell honoriert wird und nicht davon ausgegangen wird, dass Schwarze Menschen sich bereitwillig ehrenamtlich in diesen Prozess einbringen.
• die Einrichtung einer unabhängigen Schiedsstelle, bei der auch Einzelpersonen Beschwerden gegen diskriminierende Plakatwerbung einreichen können. Zentral dabei wäre, dass Menschen, die sich durch Spendenwerbung diskriminiert fühlen, gehört und respektiert werden. Die von Ihnen geforderte „Partnerschaftlichkeit“ setzt selbstverständlich voraus, dass auch in der Schiedsstelle Vertreter_innen von Partnerorganisationen aus Ländern des Globalen Südens sowie Schwarze Deutsche und People of Color mitarbeiten. Die Definitionsmacht darüber, was „als diskriminierend verstanden werden kann“, muss dabei von den meist weißen entwicklungspolitischen Organisationen abgegeben werden.
Wir warten gespannt auf eine Antwort und verbleiben mit freundlichen Grüssen, die unterzeichnenden Organisationen
P.S. Zu Dokumentationszwecken behalten wir uns das Recht vor, die Korrespondenz zu veröffentlichen.
– AfricAvenir International – info@africavenir.org
– Pan African Womans Liberation Organisation – PAWLO – mandoballe@aol.com
– Verein Afrikanischer Studierender an der Universität Heidelberg – VASUH info@vasuh.org
– Arbeitskreis Panafrikanismus München -AKPM -sekretariat@panafrikanismusforum.net
– Dachverband afrikanischer Vereine und Initiativen in Berlin und Brandenburg -Der Afrika-Rat – info@afrika-rat.org
– Schwarze Frauen in Deutschland – ADEFRA – info@adefra.com
– Migrationsrat Berlin-Brandenburg – info@mrbb.de
– ISD Bund e.V. Initiative Schwarze Menschen in Deutschland – isdbund@isdonline.de